Das menschliche Gehirn erkennt ständig Muster in alltäglichen Erfahrungen, und das kann es ohne bewusstes Denken, wie eine Studie1 zeigt. Diese Untersuchung analysierte die neuronale Aktivität von Personen, die aus medizinischen Gründen Elektroden in ihrem Gehirn implantiert hatten.
Die Studie zeigt, dass Neuronen in wichtigen Hirnregionen Informationen darüber, was passiert und wann es passiert, kombinieren. Dies ermöglicht es dem Gehirn, die Muster von Ereignissen im Zeitverlauf zu erkennen. Dies hilft dem Gehirn, bevorstehende Ereignisse vorherzusagen, sagen die Autoren. Die Ergebnisse wurden heute in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
„Das Gehirn erledigt viele Dinge, deren wir uns nicht bewusst sind“, erklärt Edvard Moser, Neurowissenschaftler an der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie in Trondheim. „Das ist keine Ausnahme.“
Ein Übermaß an Daten
Um die Welt um uns herum zu verstehen, muss das Gehirn eine Flut von Informationen verarbeiten: was passiert, wo es passiert und wann es passiert. Die Autoren der Studie wollten untersuchen, wie das Gehirn diese Informationen über die Zeit organisiert – ein entscheidender Schritt in Lernen und Gedächtnis.
Das Forschungsteam studierte 17 Personen mit Epilepsie, die sich auf eine chirurgische Behandlung vorbereiteten. Diese Elektroden ermöglichten es den Autoren, die Aktivität einzelner Neuronen in mehreren Hirnregionen direkt zu erfassen.
Zu diesen Regionen gehörten der Hippocampus und der entorhinale Kortex, die am Gedächtnis und der Navigation beteiligt sind. Diese Bereiche enthalten Zeit- und Ortszellen, die als interne Uhr und GPS-System des Körpers fungieren, indem sie Zeit und Orte codieren. „Alle externen Informationen, die in unser Gehirn gelangen, müssen durch dieses System gefiltert werden“, sagt Itzhak Fried, Co-Autor der Studie und Neurologe an der University of California, Los Angeles.
Parade der Gesichter
Für die Vorbereitung des Hauptexperiments zeigten die Forscher jedem Teilnehmer eine Vielzahl von Bildern von Gesichtern. Für jeden Teilnehmer identifizierten die Wissenschaftler sechs Gesichter, die ein einzelnes Neuron im Gehirn des Teilnehmers stark aktivierten. Ein Teilnehmer könnte zum Beispiel ein ‚Mann mit Sonnenbrille‘-Neuron sowie ein ‚Frau mit Hut‘-Neuron und vier weitere, die jeweils ein bestimmtes Gesicht bevorzugen, haben.
Das Team arrangierte die sechs Bilder jedes Teilnehmers in einem Dreieck, wobei sich an jeder Ecke ein Bild und an jeder Seite ein weiteres Bild befand. Jedes Bild war durch Linien miteinander verbunden, die die Seiten des Dreiecks und dessen Innere durchzogen.
In einem experimentellen Durchgang betrachteten die Teilnehmer eine Serie von Gesichtsbilden. Eine einfache Regel diktierte die Reihenfolge der Bilder: Jedes Gesicht wurde von einem anderen gefolgt, das mit ihm im Dreieck verbunden war (siehe ‚Mustererkennung‘). Wenn das erste Gesicht beispielsweise das am unteren linken Eck des Dreiecks war, wäre das zweite Gesicht eines seiner beiden direkten Nachbarn: das Gesicht in der Mitte der Basis des Dreiecks oder das Gesicht in der Mitte der linken Seite des Dreiecks. Die Experimentatoren gaben diese Regel den Teilnehmern nicht bekannt. Darüber hinaus wurden die Teilnehmer abgelenkt, indem sie während jedes Durchgangs Fragen zum Inhalt der Bilder gestellt bekamen.
Während des Experiments begannen die Neuronen im Hippocampus und im entorhinalen Kortex jedes Teilnehmers allmählich nicht nur auf das präsentierte Gesicht zu reagieren, sondern auch auf Gesichter, die direkt damit im Dreieck verbunden waren. Als die Teilnehmer gefragt wurden, ob sie ein Muster in der Reihenfolge der Bilder bemerkt hätten, sagten sie, dass sie dies nicht getan hätten. Dennoch lernten ihre Gehirnzellen das Muster, was zeigt, dass das Gehirn Muster ohne bewusste Wahrnehmung erkennen kann. In den Pausen zwischen den Durchgängen spielten die ‚Gesichts‘-Neuronen der Teilnehmer, was sie gelernt hatten, ab und durchliefen die Muster eigenständig, ohne dazu angeregt zu werden.
„Das ist etwas, das nicht explizit, sondern implizit ist. Und das Gehirn erfasst es im Wesentlichen sehr schnell, und wir können diese Veränderungen in den einzelnen Zellen beobachten“, sagt Fried.
Zukunftsorientierte Neuronen
Die Autoren fanden heraus, dass die Neuronen auch antizipieren konnten, welche Bilder als nächstes erscheinen würden. Dies deutet darauf hin, dass das Gehirn lernt, zukünftige Ereignisse auf der Grundlage gelernten Mustern vorherzusagen.
„Die Tatsache, dass dies ohne externe Anreize geschieht, ist wirklich interessant“, sagt Matt Jones, Neurowissenschaftler an der Universität Bristol, UK. „Viele der Ergebnisse stimmen bemerkenswert mit Vorhersagen aus der Forschung an Nagetieren überein und heben hervor, wie sich hippocampale Schaltungen entwickelt haben, um unsere kognitiven Karten zu strukturieren“, fügt er hinzu.
Das Verständnis darüber, wie das Gehirn Informationen über Ereignisfolgen organisiert, könnte wichtige klinische Anwendungen haben. So könnten beispielsweise Gedächtnisverstärkungs-Therapien darauf abzielen, spezifische neuronale Muster zu fördern, die wichtige Erinnerungen repräsentieren, erklärt Fried. „Es geht letztendlich darum, Dinge zeitlich miteinander zu verbinden. Das ist wirklich die Essenz des Gedächtnisses.“
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Tacikowski, P., Kalender, G., Ciliberti, D. & Fried, I. Nature https://doi.org/10.1038/s41586-024-07973-1 (2024).